Liebe deine Schatten – mehr Selbstakzeptanz durch Hatha Yoga

Liebe deine Schatten – mehr Selbstakzeptanz durch Hatha Yoga

Ha-Tha Yoga ist eine Praxis, die in Polaritäten verwurzelt ist: Sonne und Mond, Bemühung und Mühelosigkeit, Pingala und Ida Nadi, positive und negative Energien, grob und subtil, männlich und weiblich, Anhaftung und Abneigung sowie individuelles Selbst und universelles Selbst. Trotzdem haben wir uns bei unserer Adaption der Praxis dazu entschlossen, meist nur die kommerziell attraktiven Aspekte hervorzuheben und aufzuzeigen, während der Rest größtenteils vernachlässigt oder gleich ganz ignoriert wird. Das führt dazu, dass viele von uns verunsichert darüber sind, wie wir all das verarbeiten und integrieren können, was nicht zum Stereotyp eines “guten Yogis” passt, der immer schön lächelt und jede Situation mit Anmut und Akzeptanz meistert.

 Indem wir weder den Wert der Erforschung dessen durch Ha-Tha Yoga anerkennen, was manche die ‚Schattenseite‘ des Menschseins nennen, noch dafür eintreten, können wir unbewusst zu Gefühlen von Frustration, Betrug und Misserfolg in der Yoga-Community beitragen.” Gina Caputo

Nur Licht und Liebe in der Yoga-Szene?

Wie der Name und die tantrische Herkunft schon andeuten, ist Ha-Tha Yoga eine Praxis, um das gesamte Spektrum der menschlichen Erfahrung zu erforschen und alles in einer evolutionären spirituellen Reise in Ganzheit oder Yoga (Vereinigung) zu verschmelzen. Aber wenn man sich in der Szene umsieht, sieht man fast ausschließlich „Licht & Liebe“ und „Good Vibes Only“ Botschaften, was daran liegen mag, dass Slogans wie „Lass uns zusammen leiden, und zwar genau das richtige Maß, um etwas zu lernen“ nicht den gleichen ansprechenden Klang zu haben scheinen.

Und so unterdrücken viele von uns Gefühle und Ausdrucksformen, die nicht ins Bild passen, sozusagen die „schlechten Schwingungen“, die schließlich zu einer ungeheuren und stressigen Last werden können, wenn wir uns durch die Welt bewegen – aus Angst, dass die Wahrheit offenbart wird. Dieser Stress kann Bewältigungsstrategien wie Alkohol- und Drogenmissbrauch oder gestörtes Essverhalten auslösen, die wir dann ebenfalls verstecken wollen, weil wir ja Yogis sind und „Yogis so etwas nicht tun sollten“. Bei dieser Praxis, die das Studium und die Vereinigung von Polaritäten betont, scheinen wir in unserer Umsetzung ziemlich einseitig zu sein. Wir können uns eine wichtige Frage stellen: Wie können wir, wenn wir unsere Schattenseite und die Natur des Unbehaglichen oder des Unangenehmen nicht wirklich erforschen und anerkennen lernen, jemals erwarten, ihre wesentlichen Angebote in Weisheit zu verwandeln?

Selbstliebe und Fürsorge

Erkenne dich selbst – das Gute, das Schlechte und das Hässliche

Jeder einzelne von uns ist anfällig für Verhaltensmuster und verbreitete implizite Vorurteile, die unser Denken, unser Handeln und unsere Entscheidungen unbewusst beeinflussen. Sobald wir uns als Yogis identifiziert haben, versuchen wir vielleicht, unsere Psyche so zu formen, dass sie jederzeit nur noch auf positive Gedanken und Gefühle ausgerichtet ist, so wie es die Yogabranche meist als richtige Maßnahme vorschlägt und befürwortet. Aber es ist wichtig zu erkennen, dass viele unserer Muster und Vorurteile so tief in uns verwurzelt sein können, dass sie zunächst nicht wahrnehmbar sein könnten und besondere Fähigkeiten, Praktiken und spezielle Anleitung erforderlich sind, um sie aufzudecken und zu identifizieren; und sie schließlich mit einem besseren Verständnis der menschlichen Natur zu integrieren.

Seien wir ehrlich: dir gefällt vielleicht nicht, was du aufdeckst. Es kann dich verunsichern, dich in Verlegenheit bringen und dich beschämen. Und weil unser konditioniertes Bewusstsein darauf trainiert ist, nach Komfort und nach Erfahrungen zu suchen, die unsere Identität erhalten, fühlen wir uns vielleicht geneigt, dieser Art von Nachforschung zu widerstehen – und lieber in einem von der Industrie unterstützten Zustand der Ignoranz zu verweilen, der als Glückseligkeit wahrgenommen wird.

Stell dir den Wert dessen vor, nicht nur intellektuell, sondern auch auf Erfahrungsebene das gesamte Spektrum des Menschseins zu durchdringen. Indem wir uns mit unseren eigenen regressiven Mustern und spaltenden Neigungen verbinden, können wir auch unsere Fähigkeit zum Verständnis und zur Verbindung mit anderen Menschen erweitern. Tatsächlich beginnt das Konzept des „Anderen“ zu schwinden, wenn wir die Ähnlichkeit erkennen. Indem wir Geduld und Mitgefühl mit uns selbst üben, während wir unsere Schatten durchqueren, können wir sie auch für unsere Mitmenschen entwickeln, die ebenso die Auswirkungen unerforschter negativer Muster und ihrer Wurzeln erleben.

Um die Kontrolle über das Bewusstsein zu erlangen, müssen wir lernen, wie wir die Vorurteile, die in die Maschinerie des Gehirns eingebaut sind, mäßigen können. Wir lassen eine ganze Reihe von Illusionen zwischen uns und der Realität stehen (…). Diese Verzerrungen sind zwar beruhigend, aber sie müssen durchschaut werden, damit das Selbst wirklich Freiheit finden kann (…), um die universelle Ordnung immer mehr zu erkennen, und unseren Teil darin.” Mihaly Czikszentmihaly, Dem Sinn des Lebens eine Zukunft geben: eine Psychologie für das 3. Jahrtausend

Hatha Yoga für Selbstakzeptanz

Unser Gehirn und unsere Psyche sind unglaublich komplex, anpassungsfähig und formbar. Und für viele ist dies eine wichtige Tatsache, die man im Hinterkopf behalten sollte, wenn man die Untiefen von Mustern und Schatten erkundet. Was wir dabei entdecken, ist nicht von Dauer. Wenn wir unserem Gehirn und unserer Psyche keinen Grund zur Veränderung geben, werden sie es wahrscheinlich nicht tun. Es ist genau hier, wo der Grund zur Veränderung von einer Erkenntnis deines gegenwärtigen Zustandes und einer Entscheidung herrühren kann, Dinge aus deinem Unbewussten oder Unterbewussten in dein Bewusstsein zu holen, und mit ihnen kompetent und ohne Anhaftung oder Abneigung zu arbeiten.

Ha-Tha Yoga ist der eine Hauptzweig des hinduistischen Yoga, der unseren physischen Körper als ein mächtiges Werkzeug zur Erkenntnis unseres Selbst und unserer wahren Natur hervorhebt. Wir nehmen Haltungen ein, die Asanas genannt werden, mit besonderer körperlicher Ausrichtung, wir atmen auf besondere und absichtliche Weise, wir visualisieren und bewegen bewusst Energie durch unseren Körper, wir reinigen und entgiften auf besondere Weise – alles als Mittel zur Kultivierung außergewöhnlicher Achtsamkeit, dem ersten Schritt auf der Reise zum Yoga. Für die meisten von uns ist unser “Vor dem Yoga-Bewusstsein” weder subtil noch kraftvoll genug, um die Vrittis (die ständigen Schwankungen unseres Geistes) zu beobachten; dazu gehören Denkmuster, auf denen das Überleben beruht und das Unterscheidungsvermögen in Bezug auf sensorischen Input, ideenbezogene Gedanken, Gespräche, Erinnerungen, Fantasien und natürlich der Schatten, der das Bild von uns selbst bedroht, das wir in die Welt projizieren. Ha-Tha Yoga bietet eine ganzheitliche Möglichkeit, das Bewusstsein zu schärfen und Veränderungen in uns selbst und in der Welt zu bewirken.

Asanas für Achtsamkeit – mach langsam

Unsere Asana-Praxis kann eine Gelegenheit bieten, ein erhöhtes Gewahrsein zu trainieren, wenn wir auf eine Weise üben, die eine Betrachtung unserer inneren Landschaft ermöglicht, die über Achtsamkeit, die wir auf unseren physischen Körper lenken, zugänglich wird. Wenn wir unsere Körper auf bewusste Weise ausrichten (Asanas), können wir uns unseres physischen Selbst auf subtiler Ebene bewusster werden. Wenn wir die Qualität unseres Atems in dieser Haltung bemerken (Pranayama), können wir uns unseres energetischen Selbst auf subtiler Weise bewusster werden. Und dann, wenn wir weiter beobachten, was in diesem Moment auf der Ebene unseres Bewusstseins auftaucht, ohne zu versuchen, es zu verändern (Citta Vritti), können wir uns unseres mental-emotionalen Selbst bewusster werden und einige der Muster, die womöglich tief in unserem Geist existieren, beleuchten. Wenn wir auf diese Art und Weise regelmäßig Asanas praktizieren, macht es nur Sinn, dass unsere Fähigkeit zur Einsicht und unser Bewusstsein durch die Wiederholung von so viel außergewöhnlichem Fokus und Konzentration wächst.

Allerdings funktioniert das nicht so gut, wenn wir Yoga als „Flucht“ für eine Stunde praktizieren oder mit der Absicht, uns einfach „gut zu fühlen“. Bei einer zu schnellen Praxis gibt es wenig Gelegenheit, sich selbst zu beobachten, und wir entfliehen in den „Flow“. Oder wenn der Schwerpunkt immer darauf liegt, „das zu tun, was sich gut anfühlt“ und im Wesentlichen nur auf die angenehmen Empfindungen aus zu sein, laufen wir Gefahr, eine Anhaftung (Raga) an das Angenehme zu kreieren. Dann gibt es wenig Gelegenheit, sich mit der Abneigung (Dvesha) auseinanderzusetzen. Ein Verständnis von beidem auf der Erfahrungsebene ist notwendig, um sich schließlich mit Gelassenheit durch die Welt zu bewegen. Ohne das volle Spektrum der Erfahrung können wir uns vielleicht auf die körperliche Praxis als temporäres Schmerzmittel verlassen, finden uns aber schlecht vorbereitet, um mit den Schatten umzugehen, die in uns selbst und in der Welt entstehen, wenn dieses Schmerzmittel nicht mehr ausreicht.

Evolution statt Revolution

Vorschau

Haltungen mit diesem ganzheitlichen Bewusstsein einzunehmen, kann eine interessante Möglichkeit sein, unsere wandelbaren Grenzen zu erforschen, sowohl physisch als auch mental. Da wir alle unterschiedlichen Lebenserfahrungen ausgesetzt sind, die unsere gegenwärtige Existenz beeinflussen, ist die Zeit, die wir in einer Pose verbringen, damit sie für uns von Vorteil ist, nicht universell. Der Yogalehrer B. K. S. Iyengar sagte: „Die Haltung beginnt, wenn du sie verlassen willst.“ Meine gewählte Interpretation hiervon ist, dass wenn die konditionierte Reaktion der Abneigung auf Unbehagen in uns auftaucht, während wir eine Pose halten, genau das der Moment ist, in dem die Haltung am wertvollsten wird. Das ist der Moment, in dem wir unsere Denk-, Gefühls- und Handlungsmuster identifizieren, beobachten und vielleicht auch verändern können. Diese Praxis auf der Matte kann nicht nur unser Gefühl stärken, wozu wir in der Welt fähig sind, sondern auch Ausdauer trainieren, um Unbehagen und Unannehmlichkeiten jenseits der Matte zu tolerieren und unsere Fähigkeit zu unterstützen, bei etwas Lohnenswertem dranzubleiben, das wir gleichzeitig auch als sehr unbequem empfinden können.

Wir alle haben schon das Sprichwort gehört: Schmerz ist unvermeidlich, Leid ist optional. Vielleicht ist das eine Einladung, bewusst zu akzeptieren, dass wir ganz sicher schmerzhafte Dinge in unserem Leben erfahren werden, ganz egal, wie oft wir in der Woche Yoga üben oder was wir für gute Menschen sind. Und dass diese unglaublich populäre Praxis namens Ha-Tha Yoga, wenn sie auf eine Weise praktiziert wird, die eine Auseinandersetzung mit den Polaritäten – sowohl dem „Licht“ als auch dem „Dunkel“ in uns – fördert, eine großartige Gelegenheit bietet, unsere Fähigkeit zu erweitern, mit dem Schmerz gekonnt zu arbeiten, unser Leiden zu bewältigen und unser Mitgefühl füreinander zu intensivieren.



Yoga im Herbst: Eine Einladung zum Loslassen

Yoga im Herbst: Eine Einladung zum Loslassen

Es ist Herbst. Die Blätter färben sich golden, die Luft wird kühl. Wenn du dich dafür öffnest, wirst du spüren, dass die Natur gerade regelrecht eine Einladung an uns ausspricht, uns einer Tatsache bewusst zu werden, die unser Leben jeden Tag und jede Minute beeinflusst: Veränderung geschieht – ob wir es wollen oder nicht.

Wenn du zu den vielen Menschen gehörst, für die Veränderungen oft herausfordernd oder vielleicht sogar beängstigend sind, oder wenn du die besondere Zeitqualität des Herbstes bewusst nutzen willst, um nicht gegen den, sondern mit dem Strom des Lebens zu schwimmen, dann kannst du jetzt deine Yogapraxis nutzen, um dich auf diesen feinen und doch tiefen Wandel im Herbst einzustimmen und voll einzulassen.

Halt mal an – Ricardia Bramley

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